Flo

Flo

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„Ich dreh noch völlig durch!”, schrie Flo hysterisch quietschend wie eine überforderte Volksschullehrerin, raufte sich die Haare und sah dabei ein wenig aus wie Oliver Hardy. Nur das Hitler-Bärtchen fehlte. Flo wurde nicht wegen seines Körperbaus so genannt, sondern weil ihn seine fantasiebegabten Eltern mit diesem Fluch der 70er-Jahre gestraft hatten. Flo, Florian also, war 1,52 groß und an der ausgeprägtesten Ausbuchtung seines Körpers beinahe ebenso breit. Und das waren nicht seine Schultern, was auch schon recht seltsam ausgesehen hätte. Nein, er hatte es mit den Drüsen und das wirkte sich enorm auf seinen Bauchspeck aus. Seine Schwarte lugte immer ein wenig mehr als schick ist, unter seinem Shirt, seiner Weste oder was auch immer seinen Körper knalleng umhüllte, hervor. Er trug seine Wampe knapp oberhalb seiner Knie und wenn er saß, sah es so aus, als würden seine Unterschenkel direkt aus seinem Bauch wachsen. Trotzdem war er unglaublich flott beim Servieren von Biergläsern und Schnitzeltellern. Auch wenn öfter mal ein Teil vom Schnitzel fehlte, wenn es am Tisch angekommen war. 

Sein Appetit war ebenfalls von den Drüsen bedingt.

Ich schätze, sämtliche Gäste im Gasthaus Nagl, ja sogar der alte Nagl selbst waren ebenso erstaunt wie ich, als der Flo mit einer surreal anmutenden Eleganz aus einer fließenden Drehung die Schrotflinte unter der Theke hervorzauberte, dem Junkie den halben Kopf wegschoss und in derselben Bewegung die Flinte wieder an ihren Platz verstaute und gerade so als wäre nichts gewesen, weiter das Bier zapfte. Der Junge mit dem zerfetzten Schädel lag am Boden und konnte es nicht fassen. Er röchelte und zuckte und hielt sich sein nicht mehr vorhandenes Gesicht. Mit dem Rest seiner Stimmbänder versuchter er noch etwas zu sagen, wahrscheinlich ein „Hilfe“ oder ein „Mama“, ein „Bitte“ oder was man in solch einer Situation eben sagen möchte. Aber das war zwecklos. Obwohl einige Gäste nachfragten, sie verstanden ihn nicht. 

Es ist erstaunlich, wie lange man mit so einer argen Verletzung noch leben kann. Ebenso erstaunlich ist es, wie lange es dauert, bis jemand die Rettung ruft, aber am aller erstaunlichsten ist, wie lange es dauert, bis die Rettung auch wirklich kommt. 

Als die Sanitäter ihn auf die Barre warfen, wo er munter weiter vor sich hinröchelte, und ihn abtransportierten, waren die Bullen längst da und bereit, um mit ihrer Zeugeneinvernahme zu beginnen. 

Man kann der Wiener Polizei so einiges vorwerfen, aber im Erkennen geistig beeinträchtigter Personen sind sie erstklassig. Da macht ihnen kaum jemand was vor. Jedenfalls merkten sie instinktiv, dass sie mit dem Flo noch ihren Spaß haben würden und machten ihn schon bei der Personalienaufnahme fertig, als sie von ihm verlangten, seinen Namen zu buchstabieren. Der Flo kann sich die komplette Bestellung eines Zwölf-Personen-Tisches samt Getränken und Nachspeisen ohne Probleme merken, aber verlang bloß nicht, dass er sie aufschreibt. Leichtes Spiel also für zwei Sadisten mit dem Gerechtigkeitssinn von Zwölfjährigen.

Die beiden uniformierten Scherzkekse staunten nicht schlecht, als sich plötzlich ein Typ im kleinkarierten Anzug zu ihnen an den Tisch setzte, sich mit Oswald Bauer vorstellte und erklärte, er sei Flos Anwalt. Als Draufgabe knallte er ihnen einen paragraphengespickten Redeschwall entgegen, was den beiden Amtshandelnden sichtlich den Spaß verdarb. Wenn man in einem Staat aufwächst, in dem die Regierung ein ausgeklügeltes Rechtssystem von selbstgerechten Schulabbrechern exekutieren lässt, für die Hausverstand und Bauchgefühl wichtiger sind als die Einhaltung der Menschenrechte, ist es gut, wenn du ein paar Paragraphen auswendig lernst und der Kerl hatte es echt drauf. Jedenfalls einigte man sich noch am Tatort auf eine Notwehr-Handlung und Flo wurde auf freiem Fuß angezeigt. 

Niemand machte eine große Sache daraus, schließlich war der wehleidige Ton, mit dem dieser bemitleidenswerte Junge seit Wochen in den umliegenden Bars um ein paar Münzen gebettelt hatte, allen ziemlich auf die Nerven gegangen.